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Lehrstuhl für Geschichte an der LMU
Eine sehr gradlinige Karriere eines herausragenden Wissenschaftlers, die allzu früh, aber auch mit der Vollendung eines Jahrhundertwerkes endet[1].
Thomas Nipperdey, Kind eines Rechtsprofessors, wuchs in Köln auf. Noch in seiner Gymnasialzeit wurde er als Flakhelfer eingezogen, danach zum Arbeitsdienst, aber schon ein Jahr nach dem Krieg konnte er das Abitur bestehen und begann sofort mit dem Studium der Philosophie und der Geschichtswissenschaft an den Universitäten Köln, Göttingen und Cambridge. Nach der Promotion in Köln folgte bald ein Aufenthalt am Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen. Dort schloss er seine Arbeit „Die Organisation der deutschen Parteien vor 1918“ ab, mit der er sich habilitierte und die noch im selben Jahr publiziert wurde.
Seinen ersten Ruf erhielt Nipperdey an die TH Karlsruhe, nach etwa 5 Jahren wechselte er an die FU Berlin, nach weiteren drei Jahren dann an die LMU, wo er bis zu seinem Tod lehrte. Forschungsaufenthalte führten ihn nach Princeton, nach Oxford und nach Stanford.
In Berlin veranlasste ihn seine liberalkonservative Haltung, an den Protestformen der Berliner Studierenden scharfe Kritik zu üben. Seine Parallelisierung der Methoden der Studierenden mit jenen der Nationalsozialisten vor 1933 trug ihm die Feindschaft der Studentenbewegung ein, was sich in Vorlesungsstörungen manifestierte und auch in einem Farbanschlag auf sein Auto.
Bei zwei der großen Debatten in Deutschland, dem Historikerstreit und der Diskussion um den Deutschen Sonderweg verhielt sich Nipperdey auffallend zurückhaltend:
Der Historikerstreit von 1986/87 war eine zeitgeschichtliche Debatte in der Bundesrepublik Deutschland um die Singularität des Holocaust und die Frage, welche Rolle dieser für das Geschichtsbild Deutschlands spielt.
Auslöser war ein Artikel Ernst Noltes, der den Holocaust als Reaktion der Nationalsozialisten auf vorausgegangene Massenverbrechen und das Gulag-System in der Sowjetunion darstellte. Diese und andere Aussagen von drei weiteren bundesdeutschen Historikern kritisierte der Philosoph Jürgen Habermas als „Revisionismus“, der ein deutsches Nationalbewusstsein durch das Abschütteln einer „entmoralisierten Vergangenheit“ erneuern solle. Darauf reagierten viele deutsche Historiker, Journalisten und andere interessierte Autoren mit Leserbriefen oder Zeitungsartikeln.
Nipperdey beteiligte sich nur mit einem Artikel, der den Stil der Debatte beklagte und Jürgen Habermas für seine moralisierende Stellungnahme den angegriffenen Kollegen gegenüber kritisierte. Zum inhaltlichen Kern äußerte er sich aber nicht, obwohl er Noltes strittigen Thesen ablehnte.
Deutlicher nahm Nipperdey zur These Deutscher Sonderweg Stellung: Anders als Frankreich und Großbritannien und natürlich auch Russland habe sich Deutschland, so besagt die These, kontinuierlich unter der Dominanz Preußens hin zum Kaiserreich und darüber hinaus über die Weimarer Republik hin zum Nationalsozialismus entwickelt. Die antiparlamentarische und antidemokratische Haltung weiter Kreise, auch die der Wirtschaft, habe zu einem vor allem über kulturelle Aspekte definierten, letztlich fehlerhaften Selbstverständnis und einem übersteigerten Nationalgefühl der Deutschen geführt. Ein strukturelles Modernisierungsdefizit habe letztlich in den Nationalsozialismus geführt. Verkürzt: Das Kaiserreich sei primär Vorgeschichte des Dritten Reiches.
Dieser damals nahezu unwidersprochenen These setzte Nipperdey Überlegungen entgegen, die relative Offenheit von historischen Situationen aufzeigten, die Alternativen, die Chancen und die Handlungsspielräumen orteten. So sollte die Weimarer Republik nicht nur von ihrem Ende her betrachtet und auf diese Weise von vornherein negativ gezeichnet werden. Bei all diesen Überlegungen ging es Nipperdey aber vor allem um eine Neubewertung der deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts.
Und das war nun einmal sein ganz großes Werk: Seit seinem Aufenthalt in Princeton arbeitete er an dem Manuskript, das dann bei C. H. Beck als „Deutsche Geschichte 1800–1866“ erschien. Seine anschließend (?) getroffene Entscheidung, das Werk bis 1918 fortzusetzen, hatte zur Folge, dass die nächsten zehn Jahre ganz der Arbeit an seinem Opus magnum gewidmet waren. Seine deutsche Geschichte hat den Anspruch, Totalgeschichte zu sein, das heißt alle Bereiche menschlichen Lebens und nicht nur die häufig im Vordergrund stehende politische Entwicklung zu beschreiben. So beschreibt Nipperdey, der zeitweise Mitglied der SPD war, sehr anschaulich den Pauperismus und schildert mit viel Mitgefühl die prekären Lebensumstände. Dennoch, aber vielleicht auch gerade deswegen, stellt er fest:
Die epochale Leistung des Jahrhunderts und das epochale Schicksal ist auch in Deutschland die industrielle Revolution, die technologische Revolutionierung der Produktionsverhältnisse, die kapitalistische Revolutionierung der Wirtschaftsweisen und -beziehungen, die Maschine, die Fabrik, der Markt, das Wachstum – und die daran sich knüpfenden sozialen, politischen und mentalen Folgen.
Das Manuskript des Gesamtwerkes wurde im November 1991 abgeschlossen und von Nipperdey mit einem auf den „3. Oktober 1991, dem Tag der deutschen Einheit“ datierten Nachwort versehen. Das Buch erschien im folgenden August. Ein Vorabexemplar hielt Thomas Nipperdey noch in der Hand, bevor er im Juni einer Krebserkrankung erlag. Das Leben des Autors war zu Ende, das Werk trat ins Leben und begann seine eigene Karriere als Meisterwerk und eine der großen Leistungen deutscher Geschichtswissenschaft des 20. Jahrhunderts.
[1] Das Foto von Thomas Nipperdey wurde uns von Dr. Claudius Stein, Universitätsarchiv München, zur Verfügung gestellt.
Studium der Rechtswissenschaften an der LMU
„Dafür stehe ich mit meinem Namen.“ Einer der bekanntesten Aussprüche eines deutschen Unternehmers, und ja, über 40 Jahre stand er an der Spitze eines Vorzeigeunternehmens , den HiPP-Betrieben, die trendig und richtungsweisend zum führenden Hersteller von Baby-Nahrung wurden. HiPP ist regional und global gleichermaßen ausgerichtet und kann sich rühmen, einer der weltweit größten Verarbeiter von biologischen Rohstoffen zu sein, und das alles mit einer Wirtschaftsweise, die von ökologischer, ökonomischer und sozialer Nachhaltigkeit geprägt ist. Ökologie und Ökonomie sind bei HiPP keine Gegensätze. "Das Beste aus der Natur. Das Beste für die Natur." ist der Maßstab, an dem das Wachstum des Familienunternehmens und seines Sortiments beständig gemessen wurde und wird.
HiPP hat früh die Entscheidung getroffen, die Baby- und Kindernahrung als reine Bioprodukte anzubieten. Dadurch wurden die Produkte teurer, aber auch konkurrenzlos. Ein paar Jahre war nicht klar, ob sich dieser strenge Qualitätskurs durchsetzt. Aber letztlich hat der Handel die konsequente Haltung honoriert. Er musste aber auch, denn sonst wären ihm die Premiumkäufer weggeblieben, die wegen der Babynahrung kamen und dann blieben, um noch andere Dinge zu kaufen.
Danach reihte sich dann ein unternehmerischer Erfolg an den anderen, und das alles mit der Herstellung von Kindernahrung nach eigens definierten ethischen Grundsätzen zur Erhaltung der Natur.
Aber kaum fängt man an, sich ein wenig mit seiner Biografie zu beschäftigen, staunt man über die Vielseitigkeit dieses Mannes, über die vielen Dinge, die ihn zusätzlich zu seinem Unternehmen beschäftigen, ihn umtreiben. Die Bild-Zeitung hat ihn einmal charakterisiert: Deutschlands außergewöhnlichster Unternehmer! Lassen Sie uns ein paar dieser Seiten beleuchten:
Claus Hipp ist Christ, nicht nur ein Katholik, der sonntags an der Messe teilnimmt, sondern der offen für seine Firma, von seinen Mitarbeitern, von seinen Führungskräften fordert: „Christliche Verantwortung soll unser Handeln prägen“. Und welcher erfolgreiche Wirtschaftsboss beschreibt schon die Zehn Gebote als Leitlinien seines Handelns, zusammen mit den Vier Kardinaltugenden? Er lässt sich zitieren: „Der Glaube ist Basis des Lebens und oberste Richtschnur für alles, was ich mache. In all unserem Tun brauchen wir eine Orientierung nach oben.“ Und weiter: „Der Glaube gibt Halt, er ist ein Akt des Willens und der Demut.“
Claus Hipp schreibt Bücher, er setzt sich mit unserer Welt, mit Bildung, mit den Strömungen unserer Gesellschaft auseinander. Die Titel der Bücher:
- Das Hipp-Prinzip, Wie wir können, was wir wollen
- Agenda Mensch
- Die Freiheit es anders zu machen
- Achtung Anstand
Seine Reden schreibt er übrigens noch mit der Hand und seit seinem Studium mit Füller von Pelikan.
Claus Hipp ist Landwirt, in Kooperation mit Wissenschaftlern, mit Bioland und mit dem Landesbund für Vogelschutz werden auf dem familieneigenen Ehrensberger Hof in Pfaffenhofen Methoden erforscht, die sich im Grünlandbetrieb positiv auf Bodenfruchtbarkeit und die Artenvielfalt auswirken. Ziel ist es, diesen Bio-Hof als Musterbetrieb nachhaltig, biodiversitätsfreundlich und effektiv zu bewirtschaften.
Gezeigt werden soll, wie Nachhaltigkeit und der Schutz der biologischen Vielfalt in den landwirtschaftlichen Alltag integriert und damit Verbesserungen erzielt werden können. Langfristig möchte er Erzeugern pragmatische Hinweise für kostengünstige Maßnahmen zum Erhalt der biologischen Vielfalt an die Hand geben und damit die Anzahl besonders biodiversitätsfreundlicher Erzeuger erhöhen.
Claus Hipp war Turnierreiter: Im Military-Reiten kämpfte er um Siege und Platzierungen, aber als Stuntman in Filmen verdiente er Geld und sein Handeln mit Pferden erlaubte es ihm, eine Pferdezucht aufzubauen. Die Reitwettbewerbe finden inzwischen ohne ihn statt, der Film, wenn er denn noch Pferdeszenen zeigt, muss mit anderen Stuntmen auskommen, aber die Pferdezucht existiert noch immer, jetzt in den Masuren (Polen) bei seinem Sohn Stefan.
Claus Hipp ist Radfahrer: In seiner Zeit als IHK-Präsident musste er einmal von der Max-Joseph-Straße in die Staatskanzlei am Hofgarten, der Ministerpräsident gab einen Empfang. Zu Fuß sind das 15 Minuten, mit dem Auto 6 Minuten (ohne Parkplatzsuche), Claus Hipp nahm das Fahrrad (5 Minuten), blieb aber erst einmal an den Zutrittskontrollen hängen. Kein Wunder, schließlich ließen sich die anderen Funktionäre mit großen Limousinen vorfahren. Zitat Hipp: “Das Rad spart Zeit und trainiert die Gesundheit!” Bem.: Noch immer ist Claus Hipp Ehrenpräsident der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern, der Deutsch-Russischen Außenhandelskammer sowie der Vereinigung der Deutschen Wirtschaft in Georgien.
Claus Hipp ist Künstler: Die Gemälde von Nikolaus Hipp - so lautet sein Taufname und sein Künstlername - hängen bei der DIHK in Berlin, im Kunstmuseum Sofia, in der Deutschen Botschaft in Kiew. Er erhielt den Franz-Kafka-Kunstpreis für Malerei in Prag, seit ein paar Jahren lehrt er an der Kunstakademie im georgischen Tbilisi. Er sei ein Unternehmer, der malt, sagt er. Nicht umgekehrt.
Seine Gemälde sind abstrakte Farblandschaften in Öl auf Leinwand. Es sind Bilder, die unser Gefühl ansprechen und sinnlich-emotionale Empfindungen hervorrufen. Zitat Hipp: „Je weniger Mittel nötig sind, umso stärker die Aussage“
Seinen Lebensunterhalt könnte Hipp längst mit seinen Kunstwerken bestreiten. Den Erlös, den er durch den Verkauf seiner Bilder generiert, spendet er komplett für wohltätige Zwecke oder unterstützt damit junge Künstler.
Claus Hipp ist Musiker: Er spielt die zweite Oboe im Münchener Behörden-Orchester, wo viele seiner Kollegen Profimusiker sind. Jährlich werden – meist in der Aula der Ludwig-Maximilians-Universität in München – zwei bis drei Konzerte vor einem Publikum von meist über 600 Zuhörern veranstaltet. Solokonzerte werden bevorzugt mit jungen Künstlern aufgeführt, die damit kurz vor oder nach Beendigung ihrer Ausbildung die Gelegenheit zu einem öffentlichen Auftritt erhalten.
Auf Initiative von Claus Hipp entstand in Zusammenarbeit mit der Schweizer Oboistin Marie-Lise Schüpbach und dem Symphonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks das Kammermusik-Festival ErstKlassik am Sarnersee. Natürlich ist Claus Hipp Schirmherr der Veranstaltung.
Claus Hipp ist Diplomat, er ist Honorarkonsul von Georgien für Bayern, Baden-Württemberg und Thüringen. Diese Aufgabe kam eher zufällig zustande: Im Behörden-Orchester war sein Nachbar zufällig Georgier, die beiden kamen ins Gespräch, ein Wort gab das andere, aber nicht nur das, inzwischen kennen wir Claus Hipp besser: Es führte zu einer langjährigen persönlichen und finanziellen Unterstützung der Kunst und der Universitäten in Georgien.
Claus Hipp ist Professor, er lehrt an der Staatlichen Kunstakademie im georgischen Tbilisi Bühnenmalerei und an der Universität Betriebswirtschaft, insbesondere Wirtschaftsethik.
Claus Hipp unterstützt das Gemeinwohl: Er hat in München die Tafel e.V. mitbegründet, deren Schirmherr er bis heute ist.
Claus Hipp ist Alumnus der LMU, im Testimonial der Universitätsgesellschaft – natürlich ist er Mitglied - sagte er: Da ich an der LMU studiert habe, fühle ich mich dieser Universität besonders verbunden. Sie war prägend für meine weitere Entwicklung.
Und wenn man Claus Hipp fragt, was seine Erfolgsgeheimnisse sind, so antwortet er: Erstens: Erfolg hat nur der Optimist. Zweitens: Nur Erfolg, den Sie auf anständige Weise erzielt haben, ist dauerhaft. Drittens: Sie müssen die richtigen Leute haben. Wenn man ihn fragt, wie er all diese Interessen und die vielen Aktivitäten unter einen Hut bringt, gibt er zwei Antworten: Eine rigorose Zeiteinteilung, die keinen Müßiggang kennt, und das Unternehmen wird immer an die erste Stelle gestellt.
Der Autor dieser Zeilen darf mutmaßen: Ohne das christliche Selbstverständnis, ohne den tiefen Glauben als Ankerpunkt, wäre der erfolgreiche Weg selbst einem so vielseitig begabten Menschen wie Claus Hipp nicht gelungen.
Studium der Volkswirtschaftslehre, Betriebswirtschaftslehre und Philosophie mit anschließender Promotion an der LMU
Du-wirst-meiner-Liebe-nicht-entgehen. Mit diesem Zitat von Horváth aus den Geschichten aus dem Wienerwald schließt Händler einen Erzählstrang ab, bei dem, wie so oft bei ihm, Traum und Wirklichkeit verschmelzen. Das Zitat findet sich in Das Geld spricht, Händlers derzeit letztem Roman. Er ist eine Art finanztechnisch-soziale Versuchsanordnung und erzählt von erfolgreichen Mittvierzigern, die zur Frankfurter und New Yorker Hochfinanz oder zumindest zu deren unmittelbarem Umfeld gehören. Diese Gambler-Naturen schwanken zwischen profundem Fachwissen, Angeberei und Risikofreude; man begreift ihre Ängste und Zweifel und staunt über mangelnde emotionale Kompetenz. Daneben steht das Geld als sprachbegabtes und, wie mehrfach betont wird, mit einer persönlichen Seele ausgestattetes Wesen:
ICH HABE DEN MENSCHEN BEIGEBRACHT, GEDANKEN HANDHABBAR ZU MACHEN. ICH HABE DIE MENSCHEN GELEHRT, GESETZE ZU FORMULIEREN. OHNE MICH WÄREN SIE NIE ÜBER EINZELFÄLLE HINAUSGEKOMMEN! ICH KANN ERKLÄREN! WIE WILL MAN ETWAS ERKLÄREN OHNE MICH?
Dieser dröhnend selbstgefällige, götzenhafte Popanz behauptet nun von sich, nicht nur die „erfolgreichste Sprache“ der Welt zu sein, sondern zugleich auch der „allwissende Erzähler“ der handelnden Figuren: „ICH BIN IHR AUTOR“.
Auch Ernst Wilhelm Händler ist ein anspruchsvoller Autor. Kaum ein anderer deutschsprachige Schriftsteller kennt sich in der Welt der Wirtschaft so gut aus wie er. Schließlich wurde er mit einer Arbeit über die logische Struktur ökonomischer Theorien promoviert und übernahm anschließend, nach dem Tod seines Vaters, die Leitung des Familienbetriebs, der mit 250 Mitarbeitern Schaltschränke und Installationsverteiler herstellte. Nach der Auszahlung an die Familie seines Onkels musste er das Unternehmen in Cham (Oberpfalz) unter schwierigen Bedingungen refinanzieren und neu gründen. Parallel zu seiner Tätigkeit als Unternehmenschef begann er zu schreiben. Dann kam aber der Zeitpunkt, als die Firma nicht mehr eigenständig weiter zu führen war. Händler fand bei Siemens geeignete Strukturen, verkaufte und sicherte so die bis heute anhaltende Existenz der Firma.
Händler intensivierte danach seine schriftstellerische Arbeit, neben den inzwischen 9 Romanen und neben dem einen Erzählungsband schrieb Händler wichtige Essays über ein breites Spektrum, natürlich vieles mit Bezug zur Ökonomie, aber unter dem Titel Das Universum ist auch nicht mehr das, was es einmal war setzt er sich mit Kosmologie und Parallelwelten auseinander. Aber vor allem geht es Händler um unsere Gesellschaft, die er versucht zu beschreiben, zu durchdringen, ernst und ironisch legt er die Mechanismen unseres Zusammenlebens offen. Dabei ist sein Blickwinkel durchaus nicht der von ganz unten; Macht, Geld, Glanz, teure Uhren, elegante Mode, das alles findet sich in seinen Romanen.
Studium der Literatur- und Theaterwissenschaften an der LMU
Die Ereignisse des Ersten Weltkrieges und die nachfolgenden Revolutionsunruhen haben auch der Familie Horváth zugesetzt. Vater Horváth kann aber in München an seine Diplomatenkarriere anknüpfen, Sohn Ödön wird nachgeholt und belegt in München an der Universität einen bunten Strauß von Fächern, von Psychologie, über Literatur und Soziologie bis hin zu den berühmten theaterwissenschaftlichen Übungen von Professor Artur Kutscher. Viel wurde belegt, aber das meiste hält Horváth für dummes Zeug, für ihn ist das Studium nur eine Zwischenlösung. Zu stimulierend ist das Fluidum der Stadt: So sah man auf der Ludwigstraße zwei kaum ergraute Herren spazieren gehen, nämlich die Brüder Mann in heftiger Diskussion über Literatur und Zivilisation; im Englischen Garten trat man ehrfurchtsvoll vor einem weißhaarigen Mann mit mächtigen Zügen und Baskenmütze beiseite, weil ältere Semester behaupteten, es sei Stefan George.
Dem Gründer der heute noch existierenden Buchhandlung Lehmkuhl gehörte ein Saal, in dem Dichterlesungen und Kabaretts stattfanden und Kammerkonzerte aufgeführt wurden. Lena Christ, Erich Mühsam, Johannes R. Becher, Klabund, Max Halbe, Hans Carossa, Ringelnatz, die beiden Brüder Mann trugen sich in das Gästebuch dieses Saales[1] ein. Auch das erste Werk Horváths wurde hier präsentiert. Ein um 30 Jahre älterer Komponist hatte ihn gefragt, ob er nicht für ihn eine Pantomime schreiben wolle. Horváth akzeptierte und das Werk kommt zur Aufführung. Der Abend verhieß nicht viel Erfolg, kostete dem Vater aber einiges Geld.
Unermüdlich schreibt Horváth weiter, ein großangelegtes historisches Drama entsteht, und – quasi als Ouvertüre zum gesamten Werk – ein Bühnenstück, in dem der Sohn einer bürgerlichen Familie auf die schiefe Bahn gerät. Noch ist viel Angelesenes nachempfunden, durchmengt von Gängigem dieser Jahre: So heißt es bei dem drei Jahre älteren Brecht[2] „Glotzt nicht so romantisch!“ und bei Horváth „Glotzt nicht so dämlich!“
Unermüdlich schreibt Horváth weiter. Seine Eltern sind anfangs irritiert durch seinen Entschluss Schriftsteller zu werde, aber sie legen ihm auch keine Hindernisse in den Weg. Als die Eltern sich in Murnau ein Landhaus errichten ließen, das ihnen neben der großzügigen Schwabinger Wohnung als Sommerresidenz diente, wurde dieses Haus für Ödön von Horváth während fast 10 Jahren zum Hauptwohnsitz. In Murnau fand er die Leute, die ihn für seine Kleinbürgerstudien interessierten. Aus allernächster Nähe konnte er menschliche Charakterzüge und Verhaltensweisen studieren, denn Murnau ist in diesen Jahren ein Stillhaltepunkt für verkrachte Existenzen, eine Sommerfrische für Leute, die aus nicht ganz durchsichtigen Gründen überwintern müssen. In dieser kleinen Welt bekamen Inflation, Arbeitslosigkeit und der aufkommende politische Radikalismus ein ganz anderes Gesicht als in München. In Biergärten und Ausflugslokalen saß Horváth oft stundenlang und machte sich Notizen. Die hingekritzelten Dialogfetzen, Konzepte und Skizzen bildeten später das Rohmaterial für seine Volksstücke und Prosaschriften.
Unermüdlich schreibt Horváth weiter und fasst allmählich auch Fuß in Berlin, dem kulturellen Zentrum des Deutschen Reiches. Aber er blieb dort nur jeweils so lange, wie es seine Arbeit unbedingt erforderte und übernachtete häufig in kleinen, billigen Pensionen. Dann kehrte er auf der Flucht vor Lärm, Betrieb und Großstadtrummel nach Murnau zurück und schrieb in ländlicher Ruhe seine Theaterstücke. Horváth wägt sorgfältig zwischen Stadt und Land ab: „in der Großstadt habe ich mehr Eindrücke, sehe ich mehr und wichtigeres für unsere Zeit als auf dem Lande“. In Berlin feiert er mehr und mehr Triumphe auf den Bühnen der Stadt, dort verlegt er seine Romane und Geschichten. Und die in Berlin gewonnenen Freunde besuchen ihn in Murnau. Mit ihrem großstädtischen Flair erregen sie Aufsehen, sogar Entsetzen, etwa wenn Gustav Gründgens sich auf den Schoß seines Freundes Francesco von Mendelson setzte.
Unermüdlich schreibt Horváth weiter, er wird immer erfolgreicher, seine Stücke kamen immer öfter auf die Bühne, seine Romane wurden verlegt und viel gelesen: Er traf den Nerv der Zeit. Unter der Herrschaft der Nationalsozialisten muss er auf deutschsprachige Bühnen im Ausland ausweichen, Prosa – schon immer Teil seines Schaffens – bekommt ein größeres Gewicht.
Doch dann ermüdet die Kreativität, starke Depressionen setzen ein, in Deutschland (und dann auch Österreich) ist Horváth Persona non grata, er muss reisen, in Paris verhandelt er ein Filmprojekt, er geht um nachzudenken über die Champs Elysées, es gewittert, ein Ast stürzt auf ihn, Horvath ist sofort tot.
Ödön von Horváth gehört heute zu den meistgespielten Dramatikern auf deutschsprachigen Bühnen. Stücke wie Italienische Nacht, Kasimir und Karoline und Glaube Liebe Hoffnung wurden bereits zu Lebzeiten des Autors als Erneuerung des Volksstücks gefeiert. In dem gleichen Jahr als Mann ist Mann von Bertold Brecht und Der Hauptmann von Köpenick von Carl Zuckmayer uraufgeführt wurden, kam Horváths größter Erfolg auf die Bühne, Die Geschichten aus dem Wiener Wald. Die fulminante Besetzung hatte Namen, die noch heute klingen: Carola Neher, Peter Lorre, Hans Moser, Paul Hörbiger und Paul Dahlke. Schließen wir dieses kleine Portrait mit dem wohl gewaltigsten Satz, den Horváth geschrieben hat: Du wirst meiner Liebe nicht entgehen.
[1] Max Weber hielt hier seinen Vortrag „Politik als Beruf“, siehe Newsletter vom November 2016
[2] Auch BB ist Alumnus der LMU, siehe Newsletter vom November 2017
Studium der Nationalökonomie an der LMU und später Lehrstuhl für Religionsphilosophie und christliche Weltanschauung
Jeden Sonntag um 11 Uhr während des Semesters füllt sich St. Ludwig[1], die Münchener Universitätskirche, bis auf den letzten Platz: Romano Guardini[2] zelebriert die Messe und predigt. Wie kein anderer weiß er zu der Jugend zu sprechen und sie zu bewegen. Der inzwischen Fünfundsiebzigjährige versteht es, den Zwanzigjährigen nahezukommen wie ein Freund – so nahe, dass sein Anliegen das ihrige wird.
Dabei ist Guardini nicht das, was man gemeinhin unter einem großen Rhetor versteht. Er konnte über eine Stunde sprechen, ohne je ein Wort durch eine Geste zu unterstreichen, ohne je die Stimme zu erheben, während Hunderte an seinen Lippen hingen. Seine Rede wirbt. Er spricht wie einer, der seine Schüchternheit gemeistert hat und der sie umgewandelt hat in Demut. So redet er nicht zu den Menschen, sondern in sie hinein, nicht zu den vielen, sondern zu jedem einzelnen. Die Ansprache ist zur Zwiesprache geworden. Guardini ist nie der Wissende, nur immer ein selbst Suchender, aber einer, der die ganze Wahrheit sucht.
Dabei war sein erster Aufenthalt an der Münchener Universität ein vollständiger Misserfolg. Er hatte schon ein abgebrochenes Studium hinter sich, als er Nationalökonomie in München und dann auch in Berlin studierte. Aber auch das schlug fehl. Er entschied sich, Priester zu werden. Diese Entscheidung war vor allem seinen Eltern, die mit dem kleinen Romano aus Verona nach Mainz zogen und dort im Großhandel zu einigem Wohlstand kamen, nur schwer erklärbar. Aber Guardini blieb entschlossen, wohl weil die Entscheidung unbewusst seit langem grundgelegt war.
Sein Theologiestudium absolvierte er in Freiburg im Breisgau und Tübingen, in Mainz wurde er zum Priester geweiht, in Freiburg wiederum promovierte er, und die Universität Bonn habilitierte ihn. Der akademische Weg führte ihn dann nach Berlin, wo ihn der preußische Kultusminister auf einen Lehrstuhl für Religionsphilosophie und katholische Weltanschauung berufen wollte. Aber der Widerstand der evangelisch-theologischen und der philosophischen Fakultät erzwang eine taktische Lösung: Guardini wurde an die Universität Breslau berufen mit ständigem Lehrauftrag in Berlin.
Aber Guardini war kein Fachtheologe, seine eigentliche Aufgabe sah er nicht darin, die Forschung eines theologischen Faches fortzuführen, vielmehr wollte er mit wissenschaftlicher Verantwortung und auf hoher geistiger Ebene die christliche Wirklichkeit deuten.
Und so wurde die Jugendarbeit ein ganz wichtiger Schwerpunkt seines Wirkens, in Ergänzung zu den akademischen Herausforderungen seines Lehrstuhles und den Messen und Gottesdiensten, die er in Berlin zelebrierte.
In der Zeit zwischen den zwei Weltkriegen engagierte sich Guardini vor allem im katholischen Jugendbund Quickborn mit seiner Tagungsstätte Burg Rothenfels am Main und der Zeitschrift Die Schildgenossen. Was Guardini am Schreibtisch durchdachte, vom Katheter aus lehrte, in seiner Seelsorge versuchte, wurde in Rothenfels mit der Jugend unmittelbar erprobt, besprochen und zuweilen durchgekämpft. Guardini ist es zu verdanken, dass sich die katholische Jugendbewegung aus ihren teilweise allzu harmlosen, unreifen Zielen löste und zu einer vertieften Fragestellung, einer neuen geistigen Verantwortung und einer klareren Selbstdeutung fand.
Dann aber schrieb der neue Staat der Nationalsozialisten seinen Bürgern eine Weltanschauung vor, die den Glauben an Blut und Boden, an den Führer und die Göttlichkeit der nordischen Rasse zur Pflicht machte. Ein Lehrstuhl für katholische Weltanschauung stand hierzu in unerträglichem Widerspruch. Guardinis Professur wurde aufgehoben, Quickborn wurde aufgelöst, Rothenfels wurde beschlagnahmt, Die Schildgenossen mussten eingestellt werden. Guardini selbst zog sich zu Freunden im Allgäu zurück.
Nach dem Krieg setzte sich Carlo Schmid für ihn ein, und er wurde an die Universität Tübingen berufen; drei Jahre später folgte er dem Ruf an die LMU. Hier war es wieder das Zusammenwirken von Kanzel und Katheder, das Guardini so sehr befriedigte.
Bleibende Verdienste hat sich Guardini – neben seinen vielen Publikationen – um die Liturgie, um die Gestaltung des katholischen Gottesdienstes erworben. Einer Einladung zum II. Vatikanischen Konzil, als Theologe in der Liturgie-Kommission mitzuwirken, musste er wegen seiner schwächlichen Gesundheit ablehnen. Wir hier in München haben ihm noch einiges mehr zu verdanken: Er war einer der Gründer der Katholischen Akademie in München; sie wurde offiziell von Kardinal Wendel eröffnet, den Festvortrag aber hielt Guardini in der Großen Aula der LMU. Lassen wir ihn gerade zur Wechselwirkung zwischen Universität und Akademie noch einmal selbst zu Wort kommen:
„Die Universität muss bleiben, was sie ist: Eine Schule des Forschens. Aber neben der Universität brauchen wir Stätten menschlicher Bildung. Da soll ein lebendiges Bild von der Welt und vom Menschen in ihr entstehen. Das alles aber einbezogen in die tief und voll gesehene Wahrheit des Glaubens, an ihr gemessen und geordnet.“
[1] Das Bild ist das Relief an einer Säule in St. Ludwig
[2] Die Darstellung orientiert sich an den beiden Biografien von Gerl-Falkovitz und Kuhn