Fritz Bauer kam nach München zur LMU in dem Sommersemester, in dem die Münchener Universitätsgesellschaft gegründet wurde. Wie zerrissen war das Leben in der Stadt: Auf der einen Seite das um seine Verpflichtungen bewusste Bürgertum (etwa die Gründer der Universitätsgesellschaft[1]), auf der anderen Seite Studenten wie Herrmann Göring und Rudolf Heß. Der kommandiert die SA. Die 11. Hundertschaft der „Sturm Abteilung“ besteht komplett aus Studenten, und in reichsweiten studentischen Gremien erreichen völkische Gruppen die Mehrheit.
Bei seinen Münchener Freunden ist Fritz Bauer anfangs eher bekannt für seine Zuneigung zu griechischem Theater und zu Goethe. Aber als Walter Rathenau ermordet wird, beziehen Fritz Bauer und seine Freunde Position. Die Studenten ziehen sich an einen Ort in den Alpen zurück und beraten: Was muss nun geschehen? Was können wir eigentlich tun? Die jungen Leute schreiben einen Brief an einen Mann, den sie über alles liebten, der ihre Jugend über viele Jahre bestimmt hatte und von dem sie glauben, dass er nun nicht schweigen kann und nicht schweigen darf. Sie schreiben an Thomas Mann, der den Studenten sehr höflich antwortet, aber erst nach einer Weile, im Herbst Stellung nimmt. Da aber stellt er sich mit der bedeutenden Rede „Von deutscher Republik“ klar und unmissverständlich hinter die neue Staatsform Deutschlands. Übrigens sehr zum Entsetzen der Öffentlichkeit, dort sprach man von „Saulus Mann“ von „Mann über Bord“ und von „Verrat“.
Sechs Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, und damit sechs Jahre nach Ende der Nationalsozialisten ist deren Gedankengut noch lange nicht tot. Die Sozialistische Reichspartei mit roten Armbinden, schwarzen Hosen und langen Schaftstiefeln gewinnt 16 Mandate im niedersächsischen Landtag, in 35 Gemeinden erreicht sie die absolute Mehrheit. Otto Ernst Remer konnte beim Attentat des 20. Juli als kleiner Major punkten und kam durch persönliche Interventionen von Hitler und Goebbels zu großen Ehren. Nun ist er einer der Wortführer der Sozialistischen Reichspartei und brüstet sich mit seiner Tat. Bei einer Wahlkampfveranstaltung ruft er in den Saal: „Die Verschwörer sind … Landesverräter …, die vom Ausland bezahlt wurden. … sie werden vor einem deutschen Gericht sich zu verantworten haben“. Ein ehemaliger Widerstandskämpfer will das nicht so stehen lassen und erstattet Strafanzeige. Die Anzeige droht sang- und klanglos in den Akten zu verschwinden, da zieht Fritz Bauer, seit Kurzem Generalstaatanwalt in Braunschweig, die Sache an sich. Ihm gelingt es, die große Aufmerksamkeit auf den Prozess zu ziehen, und die Öffentlichkeit versteht: Hier geht es nicht so sehr um Remer, den Star der Nazi Wiedergänger, sondern der 20. Juli selbst kommt vor Gericht. Und deshalb wurde es ein großer Prozess. Bauer prägte dabei den Satz: „Ein Unrechtsstaat, der täglich Zehntausende Morde begeht, berechtigt jedermann zur Notwehr“. Und in Richtung der Deutschnationalen schilderte er die urdeutschen Wurzeln des Ungehorsams gegen Tyrannen. Er zitiert dabei Schiller. Schließlich hat er zusammen mit Stauffenberg den Wilhelm Tell auf dem Gymnasium in Stuttgart zur Aufführung gebracht. - Das Gericht verurteilte Remer zu drei Monaten Haft wegen Beleidigung. Die große Debatte, die Aufarbeitung der schwierigen Vergangenheit Deutschlands, die begann hier auf der kleinen Bühne des Braunschweiger Landgerichtes.
Fritz Bauers Werk galt dem Aufbau einer demokratischen Justiz, der konsequenten strafrechtlichen Verfolgung nationalsozialistischen Unrechts und der Reform des Straf- und Strafvollzugsrechts[2]. Der Höhepunkt seines Wirkens, die Frankfurter Auschwitzprozesse wären ohne seinen hartnäckigen Einsatz wohl nicht zustande gekommen. Die Tatbeteiligten wurden größtenteils nur zu wenigen Jahren Haft wegen Beihilfe zum Mord verurteilt. Dennoch besteht das Verdienst Bauers darin, durch die von ihm angestrengten Prozesse die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Holocaust eingeleitet zu haben. Unterstützung erhielt er damals von Peter Weiss, dessen Theaterstück über den Prozess mit großem Erfolg gleichzeitig an fünfzehn west- und ostdeutschen Theatern (damals stand die Mauer schon !!) sowie in London, uraufgeführt wurde.
Fritz Bauer wurde Anfang des letzten Jahrhunderts geboren, kurz nach dem ersten Weltkrieg begann er Rechtswissenschaft zu studieren, zunächst in Heidelberg, dann an der LMU, dann in Tübingen. Nach seiner Promotion wurde Bauer jüngster Amtsrichter in der Weimarer Republik.
Von früh an war Bauer politisch aktiv. Er war Mitgründer des Republikanischen Richterbundes in Württemberg, er trat der SPD bei und übernahm den Vorsitz der Ortsgruppe Stuttgart des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold[3]. Im Zusammenhang mit Planungen zu einem gegen die Machtübergabe der Nationalsozialisten gerichteten Generalstreik wurde Bauer acht Monate im KZ inhaftiert, dann aber wieder aus der Haft entlassen. Aus dem Staatsdienst, seinem Amt als Richter, wurde er entlassen.
Er emigrierte nach Dänemark, später konnte er nach Schweden fliehen, wo er mit Willy Brandt, Bruno Kreisky und anderen zusammenarbeitete.
Vier Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte Bauer nach Deutschland zurück, wurde Landgerichtsdirektor in Braunschweig und dort bald Generalstaatsanwalt. Auf Initiative des Ministerpräsidenten Georg-August Zinn wurde er in das Amt des hessischen Generalstaatsanwalts mit Sitz in Frankfurt am Main berufen, das er bis zu seinem Tod innehatte.
[1] Zu den ersten Mitgliedern gehörten Personen, deren Namen auch heute noch einen Klang haben: Hans Pfitzner, Walther Meuschel, Franz Kustermann, Wilhelm Kisskalt, Max Hirmer, Ricarda Huch, Johannes Freiherr von Gumppenberg, Max Bullinger, Hans Schnorr von Carolsfeld, Karl Scharnagl, Thomas Mann, Karl Ritter von Marr, Heinrich Sedlmayr, Robert Riemerschmid, Alfred Pringsheim.